Nimm dir Zeit. Lerne! Komm wieder.
Als ich genau vor acht Jahren das erste Mal vor dem Hildegard Forum auf dem Rochusberg stand, wusste ich damit recht wenig anzufangen – weder mit den Gebäuden, noch mit dem neu angelegten Garten. Wahrscheinlich kam ich damals zu spät oder zu früh. Ich stand abends vor verschlossenen Türen und dem menschenleeren Garten des Forums.
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Die Entdeckung auf dem zweiten Blick
Acht Jahre später an einem frühen Herbstmorgen auf dem Weg zur nahegelegenen Rochuskapelle spazierte ich am Hildegard Forum vorbei, und erinnerte mich genau an diesen Moment. Die beginnenden Herbsttage in Weingegenden haben einen besonderen Zauber. Während in den Tälern und Senken der Dunst sich langsam verzieht, prahlen die vom Morgentau getränkten Pflanzen und Gräser mit ihrem Schmuck. Scheinbar erheben sich die Blätter der Weinreben zur Begrüßung der aufgehenden Sonne. Die ersten Lichtstrahlen erwecken die Landschaft in ihrer farbigen Pracht zum Leben.
Damals fand ich die Türen des zweckmässigen weißen Baus verschlossen und der frei zugängliche Heilkräutergarten bot mir weder Überraschungen in der Gartenarchitektur noch in der Auswahl der zur Schau gestellten Pflanzen. Nichts Aufregendes hatte in meinen Augen die gleichförmige Anlage der Beete und deren Einrahmungen mit schlichten Holzbrettern. Auf eine Versammlung namhafter alter Bekannter traf ich – bewährte Pflanzen und Kräuter für den Hausgebrauch. Intuitiv assoziierte ich eben diese Heilpflanzen eher mit der Volksmedizin als mit Hildegard.
Ein Garten nach Plan
Erst später durfte ich erkennen, dass sich die Schöpfer des Heilkräutergartens an Plänen und Vorstellungen eines idealen Klostergartens orientierten. Die flächige Ausrichtung am Rechteck und die zentrale Platzierung des Brunnens im Mittelpunkt empfinden das historische Vorbild aus dem Mittelalter nach. Das Einfassen der Beete mit hölzernen Planken entspricht dem Prinzip des von Strabo beschriebenen Hortulus. Den wichtigsten Pflanzen, Kräutern, Sträuchern und Bäumen, die Hildegard in ihren heilkundlichen Schriften erwähnt hat, wurden in diesem Garten eine Heimat gegeben. Liebevoll sind sie auf beschrifteten Schiefertäfelchen mit ihren deutschen und lateinischen Namen benannt. Es ist ein ruhiger und beschaulicher Platz – vielleicht, weil gestalterische Aufgeregtheiten unterlassen wurden.
Ganz offen gestanden fehlte mir damals – bei meinem ersten Besuch – der umfassende Zugang zum Werk und Wirken Hildegard von Bingens. Vertraut waren mir zu diesem Zeitpunkt vor allem ihre Schriften als Kirchenlehrerin. Stark beeindruckt hatten mich die spirituellen Visionen und ihre Arbeit als unerschrockene und einflussreiche Äbtissin zweier Klöster. Bis zur offiziellen Kanonisation Hildegards sollten damals noch zwei lange Jahre vergehen.
Ein Platz für Erfahrungen
Aus meiner Sicht ist das Bemerkenswerteste an Hildegards Heillehre, dass sie den heilen und ‚gesunden‘ Menschen immer ganzheitlich im Blick hatte. Tief verwurzelt in ihrem Glauben hielt sie Heilung ohne das Mitwirken Gottes für ausgeschlossen. Die Rezepturen für Anwendungen bei seelischen Erkrankungen und Geisteskrankheiten zeugen beispielsweise von fürsorglicher Zuwendung und einem durch Milde geprägten Menschenbild. Mit ihren Schriften hat sie offensichtlich das zur damaligen Zeit vorhandene Wissen über die Heilkräfte systematisiert, übertragen und somit der Nachwelt erhalten.
Dem Rummel um die Heilkunst Hildegards stand ich von jeher skeptisch gegenüber. Einerseits haftete ihr ein leicht esoterischer Nimbus an. Andererseits wurde sie von medizinkritischen Strömungen vereinnahmt. Menschen begannen den Pfeffer als Gewürz zu verdammen, aufgrund der Zuschreibung ungünstiger Eigenschaften, die sie der Physica entnahmen. Grotesk wurde es zuweilen bei der mit Hildegard begründeten Ablehnung von Schweinefleisch. Wenn dann Zeitgenossen herzhaft ins Leberkäsebrötchen bissen und zeitgleich vor drohenden Verschleimungen warnten. Die dann auch prompt am nächsten Morgen eintraten und wiederholte Warnungen auslösten. Ernsthafte Überlegungen und Diskussionen wurden geführt, ob es vielleicht doch, die tatsächlich von ihr in der Physica beschriebenen Drachen und Einhörner, gegeben haben könnte. Ganz gleich, wie skurril solche Geschichten anmuten. Sie versperren leider eine differenzierte Sicht und einen ernsthaften Zugang zu Hildegards Heilkunst, die sich an Vernunft orientierte und auf die Ganzheit von Leib, Seele und Sinne des Menschen schaute.
Im Gegensatz dazu bietet die ständige Ausstellung des Forums der Kreuzschwestern einen sachlich anschaulichen Überblick des Gesamtwerks der Heiligen Hildegard von Bingen. Es ist ein lebendiger Ort für Austausch und Begegnungen. Eine bewusst offene und die Räumlichkeiten wenig trennende Atmosphäre wurde mit der Innenarchitektur des Forums geschaffen. Nach den Rezepten Hildegards wird für das angeschlossene Restaurant gekocht. Der Buchladen ist ein wahres Stöberparadies. Vorträge, Tages- und Wochenendseminare zu Themen rund um das heilende und theologische Werk Hildegards sind die Highlights. Wer auf dem Rochusberg übernachten will, hat die Gelegenheit im Hotel des Hildegard Forums Quartier zu nehmen. Dreizehn ruhige, zweckmässige Zimmer mit moderner und geschmackvoller Ausstattung in einer herzlichen Atmosphäre bietet das Hotel. Details finden Sie auf der Website: hildegard-forum.de/hotel
Mehr als Worte
Das deutsche Provinzmutterhaus des Ordens der Kreuzschwestern befindet sich in unmittelbarer Nähe des Hildegard Forums. Auf dem Weg dorthin kommt man unmittelbar vorbei. Besucher sind herzlich eingeladen am Stundengebet und den Gottesdiensten teilzunehmen. Der Orden der Kreuzschwestern hat sich dem Dienste der Schwachen verpflichtet. Konsequenterweise führen sie das Hildegard Forum als Integrationsbetrieb mit und für am Arbeitsmarkt benachteiligten Menschen. Damit haben die Kreuzschwestern einen Platz geschaffen, an dem sie Glauben und Leben mit den Menschen teilen und nach eigenen Worten „das Heilhandeln Gottes sichtbar machen wollen“.
Anfahrt und Internet-Adresse:
https://www.hildegard-forum.de
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