Süsses oder Saures?
Fremde mit roten Köpfen
Grosse rote Früchte aus dem Norden Amerikas und den Weiten Kanadas haben es während der letzten Jahrzehnte auf den Speisezettel der Europäer geschafft. Die Cranberries (Vaccinii macrocarpi fructus), Kranbeeren oder auch Moosbeeren konkurrieren mit den einheimischen Preiselbeeren (Vaccinium vitis-idaea). Dabei haben sie relativ leichtes Spiel. Ihre Früchte sind im Vergleich zu den Preiselbeeren wesentlich grösser, süsser und insgesamt fruchtiger im Geschmack. Ein herber säuerlicher Geschmack mit leicht bitterer Note ist beiden eigen. Daher sind sie beide gleichermassen beliebt als Zutat für herzhafte fleischliche Herbstgerichte. Dass die Cranberries auch bei Vegetariern sich grosser Beliebtheit erfreuen, liegt mit Sicherheit an einer breiten Produktpalette, die von Fruchtsaftzubereitungen, Trockenfrüchten als Snacks, fruchtigen Gelees bis hin zu Pulvern und Dragees reichen.
Heilsame Früchtchen für Frauen
Die Verwenderschaft von Cranberry-Erzeugnissen kann als vorwiegend weiblich und gesundheitsorientiert beschrieben werden. Das ergibt sich aus dem Zusammenhang, dass den Cranberries die Eigenschaft zugeschrieben wird, als pflanzliches Heilmittel bei wiederkehrenden Blasenentzündungen prophylaktisch und adjuvant zu wirken. Harnwegsinfekte sind Leiden von den physiologisch bedingt eher Frauen als Männer betroffen sind. Mit der Wirkung von Cranberry bei rezidivierender Zystitis (wiederkehrende Blasenentzündung) haben sich eine Reihe ernstzunehmender Studien beschäftigt. Die bisher erzielten Forschungs-Ergebnisse blieben leider bisher hinter den Erwartungen zurück. Dementsprechend zurückhaltend fallen die Empfehlungen und Bewertungen der Experten zu Cranberry-Präparaten aus. „Der präventive Einsatz von Cranberry-Präparaten kann bei Frauen mit unkomplizierter wiederkehrender Blasenentzündung sinnvoll sein, da es einen Hinweis auf einen Nutzen zur Rezidivvermeidung im Vergleich zu Placebo gibt.“[1] Das ist jedenfalls die offizielle Einschätzung der obersten deutschen Qualitätsbehörde fürs Gesundheitswesen (IQWiG).
Erst im Spätherbst färben sich die reifen Cranberry-Früchte tiefrot.
Beeren in der Warteschleife
Mehrere Jahre (seit 2015) rangen die Experten der europäische Arzneimittelbehörde EMA/HMPC um die Beantwortung der Frage, ob Cranberry-Früchte (Vaccinii macrocarpi fructus) das Zeug zur Anerkennung als pflanzliches Heilmittel hätten. Im Herbst 2022 schien es soweit. Ein Update des Assesment Reports deutete Bewegung in der Sache an. Bereits im Mai des vergangenen Jahres war der Entwurf einer Monographie auf der Website der EMA einsehbar. Die Studienlage zu Cranberry ist relativ dünn und die Palette der möglichen Präparate wiederum ist sehr reichhaltig. Den Dokumenten zu entnehmen, hat sich das Entscheidungsgremium auf Saft aus Cranberry-Früchten als Applikationsform geeinigt. Jedoch völlig unproblematisch scheint die Verwendung von Cranberries für die Behandlung von Harnwegsinfekten gar nicht zu sein. Das liegt einerseits an der Komplexität des Krankheitsbildes und andererseits an einigen überraschenden Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Die endgültige Entscheidung scheint sich allerdings in Ermangelung von Aussagen zur Genotoxizität (reversible oder irreversible Schädigung von Erbgut) weiter zu verschieben.
Späte Früchtchen mit milder Säure und herben Gerbstoffen, leicht gesüsst.
Dem Hick-Hack um die Cranberry sind scheinbar dann bereits die ersten Fachmedien auf den Leim gegangen. Die Deutsche Apothekerzeitung zitierte bereits im vergangenen Jahr aus der HMPC-Monographie[2] ebenso wie die Bonner Kooperation Phytopharmaka[3]. Die Überarbeitung der S3-Leitlinie zur Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und zum Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten sollte diesen Herbst veröffentlicht werden. Sie lässt auf sich warten. In der alten Version aus dem Jahre 2017 wurde noch sehr zurückhaltend die Verwendung von Phytopharmaka und insbesondere von Cranberry-Präparaten bewertet.[4] Ob sich die Meinungen der Experten in Bezug auf die Verwendung pflanzlicher Heilmittel ähnlich wie in anderen Fachrichtungen ändern, bleibt abzuwarten. Vielleicht wartet hier einer auf den anderen.
Wenig Haftung für Biofilme
Eine wesentliche Rolle bei der antibakteriellen Wirkung in den Harnwegen scheinen die Proanthocyanidine der Cranberry zu spielen. Generell sind oliogomere Proanthocyanidine in vielen pflanzlichen Nahrungs- und Arzneimitteln enthalten. Sie zeigen in der Regel eine adstringierende Wirkung und gelten als Radikalfänger. In Untersuchungen zeigte sich, dass Stoffwechselprodukte von Cranberry-Proanthocyanidinen das Haften von Bakterienstämmen von Escherichia coli an den Uroepithelzellen der Blaseninnenwand verhindern oder zumindest erschweren. Das wirkt der Entwicklung gefürchteter Biofilme entgegen, die ursächlich für die rezidivierender Zystitis sind. Können die Bakterien nicht an der Blasenwand haften, werden sie im Idealfall mit dem Urin aus der Blase gespült. Das Vorhandensein von von Flavonoiden und terpenartigen Bestandteilen in den Cranberry-Früchten könnte die bekannten entzündungshemmenden Wirkungen erklären.
Inhaltsstoffe:
Proanthocyanidine, Anthocyanine, Vitamin C, Iridoid-Glycoside, Phenolsäuren, Triterpenoide, Flavonole,
Wirkung:
Antibakteriell, entzündungshemmend
Gegenanzeigen:
Cranberry-Säfte können einen hohen Oxalatgehalt aufweisen. Für Patientinnen und Patienten mit einer Neigung zur Bildung von Steinen in den Harnwegen besteht ein erhöhtes Risiko. Harnsäure- und Oxalatsteine können sich aufgrund des sauren Urins und des hohen Oxalatgehalts von Cranberry-Saft bilden. Daher sollten diese auf die Einnahme von Cranberry verzichten oder dies vorher mit ihrem Arzt besprechen.
Menschen, die gerinnungshemmende Medikamente einnehmen, sollten vor der Verwendung von Cranberry-Saft oder anderen Cranberry-Präparaten, das mit ihrem behandelnden Arzt besprechen. Bekannt ist, dass Cranberry-Saft und andere Cranberry-Produkte die Wirkung von Warfarin verstärken kann. Warfarin ist ein gerinnungshemmender Wirkstoff, der zur Behandlung und Prophylaxe thromboembolischer Erkrankungen angewendet wird. Demzufolge ist die gleichzeitige Anwendung riskant und kontraindiziert.
Quellen:
[1] Helfen pflanzliche Mittel bei wiederkehrender Blasenentzündung?, Vorläufiger HTA-Bericht HT20-01, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), 07.10.2021
[2] https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2021/10/21/wiederkehrende-blasenentzuendung-was-ausser-antibiotika-hilft; 13.11.2022.
[3] https://arzneipflanzenlexikon.info/moosbeere.php; 13.11.2022.
[4] Interdisziplinäre S3 Leitlinie Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten Aktualisierung 2017, AWMF-Register-Nr. 043/044, Version 1.1 – 2, Aktualisierung 04/2017.