Augen auf im Wald!
Hexenzeichen und Kräuterwurzeln
Unverständliche und scheinbar willkürliche Zeichen an Bäumen und Steinen im Wald wirken auf Uneingeweihte irritierend seit Menschengedenken. Sinn und Bedeutung dieser Zeichen kennen in der Regel lediglich ihre Urheber. Allen anderen erschliessen sie sich nicht. Falls doch, dann geschieht das nur selten. Oftmals waren es sogenannte Kräuterhexen, welche die rätselhaften Zeichen im Wald anbrachten. Dass sie über deren Bedeutung tiefes Stillschweigen wahrten, kann man ihnen nicht verübeln. Wir nennen das heute Geschäftsgeheimnis.
Bei einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Heilkräutern und -pflanzen befinden sich die heilenden Kräfte unter der Erde in den Wurzeln. Während der kalten Jahreszeiten, wenn kaum noch etwas wächst und grünt im Wald, sammeln diese Pflanzen ihre Kräfte in den Wurzeln. Das ist der ideale Ernetzeitpunkt. Um diese Pflanzen ohne ihr schmückendes Grün zu finden, haben die Kräuterkundigen ganz einfach die Fundstellen schon im Sommer oder Herbst mit ihrer geheimen Markierung versehen.
Mitten im Wald
Ganz schön lässt sich das Mysterium am Wald-Engelwurz (Angelica sylvestris) nachvollziehen. Die wunderschönen Halbkugeln seiner Blüten schmücken gerade die Mittelgebirgswälder. Das Reiben seiner Fruchtstände zwischen den Fingern entlockt ihnen ein wunderbar würziges Aroma. Die Duftnote erinnert an einen guten Magenbitter. Das gibt einen guten Vorgeschmack auf das, was in den Wurzeln steckt. Das Ausgraben und Ernten der Wurzeln lohnt erst im Spätherbst bis zum Frühjahr. Dann sollte man sich allerdings des genauen Standortes erinnern!
Fast mystisch enblättert sich die später prachtvolle Blüte des Wald-Engelwurzes.
Engelwurz ist nicht gleich Engelwurz
Kräuterpfarrer Kneipp schwor auf den Wald-Engelwurz (Angelica sylvestris) und sprach verächtlich vom Arznei-Engelwurz (Angelica archangelica), der seiner Meinung nach nicht so wirkungsvoll wäre. In diesem Punkt herrscht allerdings Unklarheit an breiter Front. Die Fachwelt opponiert Kneipps Meinung, und spricht eindeutig dem Arznei-Engelwurz die besseren Wirkkräfte zu. Hilfreich ist die Wurzel des Engelwurz (Angelicae radix) bei Völlegefühl, Blähungen, schlechter Verdauung. Das hat auch im Jahre 1990 die Kommission E des BfArM in der veröffentlichten Monografie bestätigt. Gute Magentees enthalten auf jeden Fall Anteile von Engelwurz-Wurzeln. Angeblich sollen die würzigen Wurzeln des Engelwurz auch Bestandteil der Rezeptur eines weltbekannten Kräuterlikörs französischer Kartäusermönche namens ‚Chartreuse‘ enthalten sein. Bekanntlich halten sich die Herren bezüglich der Zutaten bedeckt. Weitaus offensiver sind die Skandinavier. Zu einem echten Schwedenbitter gehören auf jeden Fall Wurzelbestandteile vom Engelwurz. An dieser Stelle sind auch wir ratlos. Sind es die Wurzeln des Arznei-Engelwurz (Angelica archangelica oder des Wald-Engelwurz (Angelica sylvestris)?
„Dem Pflanzenunkundigen gebe ich notgedrungen den guten Rat, nicht Angelika zu sammeln, er möchte sonst aus der Wiese Rosskümmel oder Schierling zu seinem Verderben nach Hause tragen.“
Ein Zeichen setzen
Nicht bei allen Heilpflanzen ist es so kompliziert. Die meisten haben keine Doppelgänger. Allerdings ist es durchaus sinnvoll, sich die Standorte einzuprägen. Dann lohnt es sich im nächsten Jahr an den bereits bekannten Plätzen gezielt nach diesen Pflanzen zu suchen, und dann den idealen Erntezeitpunkt abzuwarten. Beim wem nun das Interesse an den Wurzeln des Wald-Engelwurz geweckt wurde, der sollte sich jetzt auf den Weg machen und seine Zeichen setzen!
Bitte sehen Sie von eigenen Diagnosen und/oder Selbstmedikation ab! Fachkompetente Auskünfte zu Krankheiten und/oder Anwendungen können nur ein Arzt oder Apotheker erteilen.