Familienzwist unter Kletten
Unvergleichliche Schwestern
Vom rein ästhetischen Gesichtspunkt aus betrachtet, ist die Filz-Klette (Arctium tomentosum) ihren beiden Schwestern eindeutig vorzuziehen. Ihr dekorativer dezenter grauer Filz zwischen den starren Grannen am kugelrunden Blütenstand akzentuiert ihr Erscheinungsbild, der robusten Schönheit mit derben Köpfchen auf wucherndem Kraut. Wie in den meisten Familien so auch in der Pflanzenwelt, werden häufig die grossen Geschwister den kleineren vorgezogen. So ist es auch im Falle der Grossen Klette (Arctium lappa). Sie wird in der Rolle als Heilpflanze ihren beiden Geschwistern, der Filzklette (Arctium tomentosum) und der Kleinen Klette (Arctium minor) eindeutig vorgezogen. So sieht es auch die europäische Arzneimittelagentur. Die Anerkennung als traditionelles pflanzliches Heilmittel gilt ausschliesslich den Wurzeln der Grossen Klette (Arctii radix) [1].
Filz-Klette
(Arctium tomentosum)
Anmutiges ästhetisches Highlight innerhalb der Kletten-Familie.
Ein Wahrnehmungsfehler mit Folgen
Wie so oft, werden in der traditionellen Volksmedizin diese Unterscheidungen als marginal erachtet. Auch die kosmetische Industrie gewinnt ihre Rohstoffe unterschiedslos aus den Wurzeln aller drei Klettenarten (Arctii radix). Das und ein flüchtiges Überlesen der Stellungnahme der EMA/HMPC haben dazu geführt, dass in vielen Publikationen von einer gleichzusetzenden Wirkung der drei Kletten-Schwestern ausgegangen wird. Ironischerweise bemerkte die Kommission bereits in ihrem Assessment-Report, dass die meisten Quellen sich gegenseitig abschreiben und dementsprechend aufeinander referieren [2].
Grosse Klette
(Arctium lappa)
Die grosse Schwester mit rauhem Kopf und von hoher Gestalt.
Um Klarheit und Aufarbeitung stets bemüht
Verschiedene Präparate aus Klettenwurzeln (Arctii radix) zur äusserlichen Anwendung sind seit Generationen in der häuslichen Verwendung bei der Behandlung schlecht heilender Wunden, Ekzemen, Ichtyosis (verdickte, trockene Hautschuppen), Schuppenflechte (Psoriasis), Akne, Furunkulose und anderen langwierigen Hautkrankheiten. Lindernde Effekte unter anderem bringen erfahrungsgemäss Zusätze und Abkochungen aus Kletten-Wurzeln fürs Badewasser [3]. Eines der wohl bekanntesten Klettenwurzel-Präparate ist das Klettenwurzel-Öl (Oleum Bardanae), das bei juvenilem Haarverlust den Haarwuchs angeblich wieder ankurbeln soll. Böse Zungen behaupten, der haarige Charakter der Kletten-Pflanzen könnte der Grund für die Annahme sein, dass es sich um ein den Haarwuchs förderndes Kraut handeln könnte.
Der Sache auf den Grund gehen, und es ganz genau wissen wollte es ein Forscherteam der Warszawski Uniwersytet Medyczny (Medical University of Warsaw). Die polnischen Wissenschaftler wählten im Hinblick auf den Vergleich zwischen den Inhaltsstoffen der Grossen Klette (Arctium lappa) und der Filz-Klette (Arctium tomentosum) einen ganz pragmatischen Ansatz. Zu einem testeten und verglichen sie die antioxidativen Aktivitäten, die chemische Zusammensetzung und den Gehalt an polyphenolischen Verbindungen der oberirdischen Pflanzenteile und der Wurzeln beider Spezies. Darüberhinaus wollten sie wissen, ob die Inhaltsstoffe der Kletten Einfluss auf Signalwege bei entzündlichen Prozessen im menschlichen Körper Einfluss nehmen können.
Dollenkraut
So wird die Grosse Klette (Arctium lappa) wegen der grossen Blütenköpfe mit den hakeligen Grannen im Volksmund auch genannt.
Stärkere Inhaltsstoffe und mehr Wirkung
Aus den Ergebnissen der polnischen Studie ging ganz klar hervor: die Grosse Klette (Arctium lappa) verfügt über das therapeutische Potenzial und weniger ihre Schwester die Filz-Klette. Im Pflanzenmaterial der Filz-Klette (Arctium tomentosum) wurde ein signifikant geringerer Gehalt polyphenolischer Verbindungen nachgewiesen als bei der Grossen Klette. Interessanterweise fanden sich in den Untersuchungen Hinweise auf Korrelationen zwischen dem Gehalt an polyphenolischen Verbindungen und der antioxidativen Aktivität der Pflanzenextrakte. Dementsprechend fingen die Extrakte der Grossen Klette (Arctium lappa) die reaktiven Sauerstoffspezies stärker ab als die aus dem Pflanzenmaterial der Filzklette gewonnenen.
Im Bezug auf die entzündungshemmenden Eigenschaften der Klettenwurzeln konstatierten die Forscher: die untersuchten Extrakte zeichneten sich durch starke antioxidative Eigenschaften aus, ihre Fähigkeit zur Hemmung der Lipoxygenase-Aktivität war jedoch eher schwach [4]. Lipoxygenasen (LOX) sind im menschlichen Körper vorhanden und spielen eine wichtige Rolle bei der Stimulierung von Entzündungsreaktionen. Eine übermässige Menge reaktiver Sauerstoffspezies kann Entzündungen hervorrufen. Dabei werden die Freisetzung von Zytokinen und die anschließende Aktivierung der LOXen stimulieret. Entzündliche Prozesse im menschlichen Körper sind langfristig mit einer Vielzahl von Erkrankungen wie Krebs, Schlaganfall, kardiovaskulären und neurodegenerativen Krankheitsbildern assoziiert. Die Lipoxygenasen sind an der Synthese von Prostaglandinen und entzündungsfördernden Botenstoffen den Leukotrienen beteiligt. Sie werden mit der Entstehung von Krankheiten in Verbindung gebracht, und ihre Hemmung gilt als entscheidender Schritt in der Krankheitsprävention [5]. Allerdings zeigte sich in den Untersuchungsergebnissen, dass die Fähigkeit zur Hemmung der Lipoxygenase-Aktivität durch die getesteten Kletten-Extrakte war nicht sehr hoch war [6]. Daraus schlussfolgernd, resultieren die entzündungshemmenden Wirkungen der Klettenwurzel wahrscheinlich aus den antioxidativen Eigenschaften.
Quellen:
[1] European Medicines Agency. Community Herbal Monograph on Arctium lappa L., Radix; EMA/HMPC/246763/2009; European Medicines Agency: Amsterdam, The Netherlands, 2010.
[2] European Medicines Agency. Assessment report on Arctium lappa L., radix; EMA/HMPC/246764/2009; European Medicines Agency: Amsterdam, The Netherlands, 16 September 2010.
[3] Monari, S.; Ferri, M.; Salinitro, M.; Tassoni, A. Ethnobotanical Review and Dataset Compiling on Wild and Cultivated Plants Traditionally Used as Medicinal Remedies in Italy. Plants 2022,11,2041. https://doi.org/ 10.3390/plants11152041
[4, 6] Skowron ́ska, W.;Granica, S.; Dziedzic, M.; Kurkowiak, J.; Ziaja, M.; Bazylko, A. Arctium lappa and Arctium tomentosum, Sources of Arctii radix: Comparison of Anti-Lipoxygenase and Antioxidant Activity as well as the Chemical Composition of Extracts from Aerial Parts and from Roots. Plants2021,10,78. https://doi.org/ 10.3390/plants10010078
[5] Lončarić, M.; Strelec, I.; Moslavac, T.; Šubarić, D.; Pavić, V.; Molnar, M. Lipoxygenase Inhibition by Plant Extracts. Biomolecules. 2021 Jan 25;11(2):152. doi: 10.3390/biom11020152. PMID: 33503885; PMCID: PMC7911790.