Wie Heilkräuter einen Wirtschaftskrieg auslösten
In der langen Tradition der Kräuterheilkunde hätte es die Erfolgsgeschichte schlechthin sein können. Für ihre exzellente Qualität waren die Arzneimittel der L‘Abbazia Santa Maria di Praglia wohlbekannt. Zeugnisse, Urkunden und Lobschreiben zeugen noch heute davon. Moderat und erschwinglich waren ihre Preise. Die Mönche fühlten sich der “Regula Benedictus“ verpflichtet, welche für die Produkte eines Klosters vorschreibt, dass sie mindestens kostendeckend aber stets preiswerter als außerhalb der Mauern verkauft werden sollen (RB 57, 7-9).
Die
Einer Ermahnung gleich, spricht der Benediktinermönch in seinem schwarzen Habit bedächtig diese eindringlichen Worte aus, bevor er die vergitterte Tür zur Klausur öffnet. Das Öffnen dieser Tür macht sichtbar, was sonst die meterhohen Mauern und verriegelten Tore vor den Blicken der Außenwelt verbergen. Die Sonne scheint strahlend auf die frisch geschnittenen Buchsbaumbüsche und den plätschernden Brunnen in der Mitte des Kreuzgartens. Es ist schwer vorstellbar, dass in diesem sonnenbeschienen grünen Geviert einst unter den strengen Blicken des Infirmarius die wertvollen Heilkräuter gediehen. Nur noch der Name kündet davon: Chiostro botanico. Die suchenden Blicke nach der Klosterapotheke finden keine Anhaltspunkte für eine ehemals prosperierende Werkstatt der Pharmazie in Praglia. Alle der damaligen Räumlichkeiten sind heute einer anderen Bestimmung zugeführt. Jeder, der jemals ein Heilkraut in dem Renaissancekloster am Fusse der Euganeischen Hügel sehen will, muss einem der Mönche folgen, entlang der terrakottagefliesten Gänge, über weisse Marmortreppen hinauf ins Chiostro pensile.
Auf der Welle des Erfolgs
Offensichtlich florierte der Abverkauf von Mixturen, Tinkturen, Pillen, Latwergen, Extrakten, Konserven, Sirupen, Auszügen und Kräuterdrogen in der klostereignen Apotheke. Zeugnisse von Inspektionen und Prüfungen durch die zuständigen Amtsträger der Aufsichtsbehörden bescheinigten, dass sie alle „von perfekter Qualität und anwendbar“ waren. Gerade die Frische der Arzneimittel beeindruckte die Prüfer. Das kann als indirekter Verweis einer hohen Nachfrage für die Produkte aus der Kloster-Apotheke gelesen werden. Statt der üblichen Lagerhaltung existierte offenbar eine funktionierende kontinuierliche Produktions- und Versorgungskette innerhalb der Klostermauern.
Einer Konkurrenz, die ihre Waren vernichten und beseitigen musste, weil sie mangelhaft waren, konnte das nicht schmecken! Überlieferungen bezeugen, dass mehr als einmal Paduas Apotheker, nach regulären Inspektionen ihrer Farmacias, zu diesen demütigenden Handlungen in aller Öffentlichkeit verpflichtet waren. Ein weiterer erschwerender Umstand war, dass die Drogisten der Kloster-, Stifts- oder Konventsapotheken nicht immer seitens der Fraglia approbiert waren. Die Fraglia war eine mit den deutschen Zünften und Gilden vergleichbare Vertretung der Berufsstände auf dem Territorium der Republik Venetien und deren angegliederten Gebiete. Dennoch hatten die Benediktiner selbst bei innovativen Produkten die Nase vorn.
Kein Entkommen vor den Todsünden Habgier und Neid
Es erinnert an den immer wiederkehrenden Treppenwitz in der Geschichte der Anwendung von Heilpflanzen, dass ihre Verwendung zugunsten fiskalischer oder berufsständiger Interessen geopfert wurde. Obwohl zugleich die staatlich lizenzierten Apotheken ohne weiteres in tradierter Art und Weise unbrauchbare, bedenkliche oder giftige Substanzen wie Arsen und Quecksilber gewinnbringend unter die Menschen bringen konnten. Auch im „Caso Abbazia di Praglia“, setzten einige privilegierte Gruppen und Schichten ihre politischen und ökonomischen Interessen zum Nachteil der breiten Bevölkerung durch. Wer aufmerksam die Diskussionen um die aktuelle deutsche Apothekengesetzgebung verfolgt, dem werden die Parallelen zu unserer Geschichte nicht entgehen. Eine mächtige Apothekerlobby unternimmt alles, um ihren Bestandsschutz durchzusetzen. Nach Jahren, in denen Apotheken mit nützlichen und zweifelhaften, margenträchtigen Zusatzprodukten die Regale hinterm Verkaufstresen füllten, und der Abholschein wegen nicht vorrätiger Arzneimittel für den Verbraucher zu Normalität geworden ist, besinnt sich die Apothekerschaft auf ihre Beratungshoheit. Was nutzt dem Kunden ein akademisches Verkaufsgespräch, wenn er am nächsten Tag wieder den Weg zur Apotheke antreten muss wegen eines fehlenden generischen Medikamentes?
Das jähe Ende und die Folgen
Im Jahre 1867 beschlagnahmte die Finanzverwaltung des Königreichs Savoyen das gesamte Apothekeninventar der Abtei Praglia. Der maßgebliche Hintergrund für diese drastische Maßnahme ist relativ einfach: Klöster versteuerten ihre Umsätze nicht gegenüber dem Staat im Gegensatz zu den niedergelassenen Apothekern. Der Auftrag seitens der königlichen Behörde war, die unbesteuerten Einkünfte der Klöster zu dezimieren. Damit war das Ende der mehr als 250-jährigen verbrieften Geschichte der Klosterapotheke zu Praglia besiegelt! Die Bevölkerung der umliegenden Ortschaften war ab diesem Zeitpunkt auf die Waren und die Preispolitik der ansässigen Apotheker angewiesen. Die Abgabe von Heilmitteln zu caritativen Zwecken, wie sie die Abtei betrieb, endete.
Unter den Rädern der Geschichte
Den wohl größten Schaden in ihrer Geschichte erlitt die Kloster-Apotheke im Jahre 1810. Von den Folgen der Napoleonischen Feldzüge blieb auch die Abtei von Praglia nicht verschont. Die Mönche waren gezwungen, ihr Kloster zu verlassen. Das Archiv und all die alten wertvollen Bibliotheksbestände waren sich selbst überlassen. Jahrhunderte altes Wissen und Gelehrsamkeit, kopierte Skripte, notierte Erfahrungen wurden gefleddert und auf großen Haufen zusammengekippt. Das Archiv und die Bibliothek dienten ab sofort der Unterbringung französischer Truppen. Archivdokumente und Bibliotheksbücher, die noch rechtzeitig geborgen werden konnten, wurden in den Universitätsbibliotheken und im Staatsarchiv von Padua untergebracht. Einige der Dokumente und Bücher fanden ihre Wege in private Archive und Bibliotheken. Ein nicht unwesentlicher Teil des Bestandes ist leider verschollen oder verloren gegangen. Damit wurde der im Laufe der Jahrhunderte der gesammelte und erarbeitete Wissensschatz des Klosters und der Apotheke unwiederbringlich zerstreut und auseinandergerissen. Von der Kraft der benediktinischen Gemeinschaft zeugt, dass sie 24 Jahre später zurückkehrte und dem Kloster neues Leben einhauchte.
Dunkle Wolken sind kein Wetter
Dunkle Wolken zogen bereits ab dem Jahre 1760 über den Heilkräutern und der Klosterapotheke auf. Der Magistrat für Gesundheit von Venedig entzog den Klöstern die Befugnis, welche die kostenlose oder preiswerte Abgabe von Medikamenten und Spezialitäten aus eigener Herstellung an Bedürftige gestattete. Wohltätige Zuwendungen mit den Kräften der Kräuter hatte sich ab diesem Zeitpunkt ausschließlich auf die umliegenden und dem Kloster zugehörigen Ländereien zu beschränken. Bedürftigen aus den angrenzenden Ländern und Herzogstümern war mit dieser Order der Zugang verwehrt. Acht Jahre später eskalierte die Auseinandersetzung am 18. Dezember 1768. Der Cellerar der Abbazia di Praglia „wird über die Entscheidung unterrichtet, den Benediktinern die gnädige Befugnis zu entziehen, Arzneimittel für wohltätige Zwecke abzugeben,“ um so wörtlich: „den Missbrauch (…) zu korrigieren, der von den Benediktinern der Abtei Praglia beim Verkauf von Medikamenten unter Missachtung der Gesetze dieses Magistrates“ betrieben wurde. Die vorangegangenen Auseinandersetzungen entbehren nicht einer gewissen Demagogie. Wurde zuerst betont, dass der Verkauf der Kräuterarzneien durch die Mönche eine „ernsthafte Störung“ darstelle, war man in diesem Punkte noch ehrlich. Um dann wenig später mit wissenschaftlich unhaltbaren Argumenten zur Verunglimpfung auszuholen. Das spiegelt sich kruden Behauptung wieder, die Kräuterarzneien könnten „die Wirksamkeit der herkömmlichen Medikamente untergraben“. Den Gesetzmässigkeiten der Rhetorik folgend, wird die Verantwortung automatisch dem vermeintlichen Verursacher „für jeden Defekt oder jede Störung … , die sich aus ihrer medizinischen Zusammensetzung ergeben könnten,“ zugeschrieben. Trickreich drohten die Verfasser des Verdiktes mit dem Damoklesschwert der Schadenersatzforderung. Mit einer Risikoüberschreibung, wird die Gegenseite zum Abwägen zwischen Gewinn und der zu erwartender Regressforderungen gezwungen. Eine noch heute gebräuchliche Form in der freien Wirtschaft, Kontrahenten einzuschüchtern und zum Rückzug aus dem Geschäftsfeld zu drängen. Damit war der Kraft der heilenden Kräuter und dem benediktinischen Handeln der Krieg erklärt.
Königliche Hilfe beim Neubeginn
Den Bienenköniginnen ist es zu verdanken, dass es Anfang der Fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts einen Neuanfang für den Kräuteranbau in der Abtei gab. Gemeinsam nit ihren Völkern zogen sie in die mit hohen Mauern umgebenen Gartenanlagen des Klosters. Ihre Behausungen in bunt bemalten Kästen fanden Platz zwischen den Beeten und Bäumen in den Gärten. Direkt vor ihren Wohnstätten wachsen all die leckeren Kräuter, die Bienen nähren, und den Rohstoff für aromatische und gesunde Tees bilden. Die Kräuter wachsen nicht zufällig. Voller Sorgfalt in Reihen sind die Beete angelegt – mit einem Brunnen in der Mitte. An sauberen, trockenen, sonnigen und luftigen Plätzen werden die Kräuter zum Trocknen ausgelegt, bevor sie zur Weiterverarbeitung geeignet sind. Letztendlich landen sie wohlgeordnet in den hölzernen Regalen des Klosterladens, wo sie hoffentlich ein Kunde findet, der sie zu schätzen weiss. Heilkräuter dürfen sie heute nicht mehr sein. Die Konzession für eine Apotheke wurde der Abtei nie wieder erteilt
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Quellen:
La farmacia nel chiostro; Matteo Zampieri, Edizioni Scritti Monastici, Abbazia Praglia 2018
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/arzneimittel-schutzschirm-fuer-deutsche-apotheken-spahn-riskiert-streit-mit-der-eu/24593466.html