Ein lebendiger Ort voller Stille im tiefen Tal der Nister
Lockeren Schrittes laufe ich durch den Wald im willkommenen Schatten der Kiefern und Laubbäume. Nur die Wegweiser zeigen an, dass es nur noch wenige Gehminuten bis zum Kloster sein werden. Ich spähe durch die Bäume und hoffe, an der „Schönen Aussicht“ den ersten Blick auf die Gebäude der Klosteranlage werfen zu können. Nichts ist zwischen den Bäumen zu sehen oder zu erahnen. Nur die Blätter des Waldes, Sonne und strahlend blauer Himmel über dem Westerwald. Nach guter alter zisterziensischer Tradition errichteten die Mönche ihr Kloster weitab von weiteren menschlichen Ansiedlungen und von Verkehrswegen an der Sohle eines Tals in unmittelbarer Nähe zum Fluss. Der Weg führt über die alte steinerne Nisterbrücke, als die Bäume endlich den Blick freigeben. Majestätisch beherrschen die weissen Mauern und schiefergedeckten Dächer das Tal. Umgeben von einer Bruchsteinmauer präsentiert sich der vollständig erhaltene Klosterkomplex mit seinen Gärten. Das Zentrum und den optischen Höhepunkt bildet die gotische Abteikirche. Baugeschichtlich sind die Erweiterungen und Bauphasen deutlich lesbar und sorgsam restauriert. Auf diesem Wege wurde der barocke Garten neu gestaltet und angelegt. Den Heilkräutern und -pflanzen wurde ein beträchtlicher Teil der Anlage zugedacht, die mit grosser Sorgfalt und hohem Aufwand gepflegt und gehegt werden.
Klösterliche Garten- und Heilkunst im Westerwald
Der Weissdorn – eine Angelegenheit des Herzens
Eine der ältesten Heilpflanzen ist eng mit der Gründungslegende der Abtei Marienstatt verbunden. Es ist der herzkräftigende Weissdorn. Offenbar träumte dem mit der Klostergründung beauftragte Abt Hermann im Jahre 1212 die Erscheinung der Gottesmutter Maria mit einem blühenden Weissdornstrauch, welcher den künftigen Standort begründen sollte. Wer sich solch grossen Herausforderungen stellen wollte, benötigte auch damals schon ein starkes Herz. Interessanterweise stehen die Heilkräfte des Weissdorns fast ganzjährig zur Verfügung. Im Frühling werden die weissen Blüten gesammelt, getrocknet und zu Tee verarbeitet. Über den Rest des Jahres können die Blätter mit gleicher Wirkung verwendet werden. Ein schöner grosser Weissdorn vor dem Gebäude mit Pfarrsaal erinnert an diese wunderbare Geschichte.
Der Zisterzienserorden gründete sich aus den Benediktinern im 11. Jahrhundert. Ihr Ziel war es das Mönchstum strenger nach der Regel des Benedikts auszurichten, spirituell neu aufzuladen und von ihrer eigenen Hände Arbeit zu leben. Davon kündet noch heute die schwarze Schürze über ihrem weissen Gewand. Die flatternden schwarzen Schürzen und eilige Schritte sind kein seltenes Bild in Marienstatt. Die 16 Zisterziensermönche sind vielbeschäftigt. Trotz spiritueller Ausrichtung ist ein Kloster ein laufender Wirtschaftsbetrieb, dazu gehört auch das private Gymnaisum und am Ende kümmern sie sich fürsorglich um ihre Gäste. Obwohl das Stundengebet den Tagesablauf streng regelt, kommt dann doch manchmal Hektik auf. Als guter Gastgeber ruht Pater Dominikus nicht eher, bevor alle mit dem Notwendigen versorgt sind – und freut sich über entspannte Gäste.
Irdische Pracht hält nicht ewig
Die Schönheit der Gärten ist unübersehbar. Zwischen den üppig blühenden Pflanzen wurden kleine Obststauden gepflanzt, die das Gesamtbild auflockern aber wahrscheinlich auch manchen zum Naschen verleiten.
Die Verbindung zwischen Klostertor und Abteikirche ist eine Eschen bestandene Allee. Den Bäumen geht es nicht gut. Einzelne wurden schon abgeholzt. Der erste Gedanke ist, dass es sich um alte Bäume handelt, deren Bestand ersetzt werden muss. An jedem Stamm der Eschen hängt ein DIN A4 grosses Blatt und weist auf ein europaweites Problem hin: das Eschensterben. Leider wurde auch die Eschenallee des Klosters von dem gefürchteten Pilz befallen. Die schönen Bäume werden nach und nach zugrunde gehen, ohne dass es verhindert werden kann. Das zeigt wie verletzlich die Natur ist und wie wenig wir imstande sind, dem etwas entgegen zu setzen, wenn das Gleichgewicht aus der Kontrolle geraten ist. Beim ersten Eindruck empfand ich die weissen Schilder an den Eschenstämmen störend. Heute nehme ich die Bäume in meiner Umgebung viel stärker und aufmerksamer wahr. Manchmal braucht es nur einen Impuls wie diesen.
Romantik und Andacht
Der schöne Westerwald ist ein beliebtes Ausflugsziel für die Menschen aus den Ballungsräumen des Rheinlands und Ruhrgebiets. Mit grossen komfortablen Bussen reisen ältere Menschen und geniessen die kompakte Mischung aus Kultur, Aspekten ihres Glaubens und Natur. Die Kirche, die Abtei und die Gärten sind auf ebenen Terrain angelegt und bieten gerade für Ältere ideale Bedingungen zum Spazieren. So stehen sie dann auch zwischen den Beeten mit den Heilpflanzen und erinnern sich gemeinsam, welche Mittelchen ihre Mütter ihnen damals verabreichten. Für sie sind es sentimentale Rückblicke und das Schwelgen in Erinnerungen. Später am Nachmittag tauchen Menschen in gebückter Haltung zwischen den Rabatten auf, die sich intensiv mit den Pflanzen beschäftigen. Zwischen manchen dieser Experten kommt es schon einmal zum Streitgespräch über Wirkungen, Verwendungen und Verwechslungsgefahren. Dazwischen sind es immer wieder Kinder, die fröhlich den Schmetterlingen nachjagend die Kieswege entlang hasten. Abends, wenn es dann kühler wird und die Sonne sich hinter die Berge verzieht, zeigt sich ein jüngeres Publikum, das die Bänke bevölkert und im Angesicht der Rosen und Hortensien gemeinsam chillt.
Viele ziehen sich in die Abteikirche zurück für Stille, Gebet oder gemeinsamen Gesang. Ein Tag in Marienstatt lässt sich sehr schön beschliessen – bei der gesungenen Vesper der Mönche.
Anreise und Internet-Adresse:
https://www.abtei-marienstatt.de
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