Pflanzliche Wirkstoffe gegen Diabetes?
Trotz intensiver Forschung sind bisher nur wenige geeignete pflanzliche Arzneistoffe im Kampf gegen Diabetes mellitus bekannt.
Immer wieder durchforsten Biologen, Ethnobotaniker, Pharmazeuten die Pflanzenwelt nach Bekannten oder Neuem auf der Suche nach geeigneten Wirkstoffen. Aktuell sind eine Menge einheimischer und exotischer Pflanzen im Gespräch, z. B. das Indisches Basilikum (Ocimum tenuiflorum), der Bockshornklee (Trigonella foenum-graecum L.), die Zwiebel (Allium cepa), Niembaum (Azadirachta indica), Bittermelone (Momordica charantia), Koreanischer Ginseng (Panax ginseng C.A. Meyer), Amerikanischer Ginseng (Panax quinquefolius L.), Klebriger Chinafingerhut (Rehmannia glutinosa G.). Vielleicht entpuppt sich auch die Zimtrinde (Cinamon cassia) als möglicher Wirkstofflieferant für ein pflanzliches Antidiabetikum? [1] Wie nah Erfolg und Misserfolg beieinanderstehen können, zeigen die Beispiele im letzten Absatz des Artikels.
Inulin – ein natürlicher Stärkeersatz für Diabetiker?
Am Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Inulin, auch Alantstärke genannt, aus den Wurzeln des Alants (Inula) isoliert. Folglich war die Pflanze auch der Namensgeber des Stoffes. Der pflanzliche Inhaltsstoff Inulin ist ein Gemisch aus Kohlenhydraten nämlich Oligo- und Polysacchariden einschliesslich Glucose, Fructose und Saccharose. Das Inulin kommt vielfach in den Wurzeln der Pflanzen aus den Familien der Glockenblumengewächse (Campanulaceaen) und der Korbblütler (Asteraceaen) vor. Die bekanntesten beiden Vertreter sind die Gemeine Wegwarte (Cichorium intybus) und dem ursprünglich aus Nordamerika stammenden Topinambur (Helianthus tuberosus). Als Lebensmittel-Zutat wird Inulin überwiegend aus den Wurzeln einer kultivierten Form der Wegwarte gewonnen – dem Chicorée (Zichorie).
In den Wurzeln der Zichorie oder auch Wegwarte steckt der wertvolle Nähr- und Ballaststoff Inulin. Industriell wird er aus dem Chicorée gewonnen.
Inulin ist der Zauberstoff der modernen Ernährung. Studien verweisen auf seine probiotische Wirkung und Verbesserungen der natürlichen Darmflora.[2] Für die Lebensmittelindustrie ist es ein Stoff, der sich fast allen Lebensmitteln zusetzen lässt, zur Volumenerhöhung oder zur Texturveränderung und einhergehend mit der Verbesserung des Geschmackserlebnisses.
Die hoch aufrragenden goldgelben Sonnensterne des Topinamburs verraten nur dem Kundigen ihre nahrhaften Wurzeln.
Was das Inulin für eine diätische Ernährung bei Diabetes mellitus Typ-2 so interessant macht, ist die Tatsache, dass die Kohlenhydrate erst im Dickdarm verdaut werden. Sie gelangen nicht als Glykose ins Blut. Das hat zur Folge, dass der Blutzuckerspiegel nicht steigt. Im Gegensatz zum normalen Verdauungsvorgang passiert das Inulin ohne eine enzymatische Aufspaltung den Dünndarm, weil dem menschlichen Organismus das abbauende Enzym (Inulinase) fehlt. Daher kann das Inulin wird nicht wie alle anderen Kohlenhydrate über die Dünndarmwand resorbiert werden. Erst im Dickdarm wird es von Bakterien zu kurzkettigen Fettsäuren umgewandelt, die dann dem Körper für den Energiestoffwechsel zur Verfügung stehen.
Lupinen – blutzuckerreduzierende Eiweisslieferanten?
Vor rund zehn Jahren sah es so aus, als hätte man eine weitere Ernährungsalternative mit blutzuckersenkender Wirkung identifiziert. Recht vielversprechend schienen die Studienergebnisse zu den eiweissreichen Samen der weissen Lupinen (Lupinus albus)[3] aus dem Mittelmeerraum, der in Südamerika beheimateten Anden-Lupine (Lupinus mutabilis)[4] und einer Züchtungsvariante der in unseren Breiten beheimateten blauen Lupine (Lupinus angustifolius)[5] zu sein. Die Forscher folgten dem Wissen der traditionellen Volksmedizin aus dem nördlichen Afrika und Chile, wo die blutzuckersenkenden Effekte des Nahrungsmittels genutzt werden. Strittig ist nach wie vor, ob die antihyperglykämische Wirkung auf der α-Glucosidase-Hemmung (einer verminderten Aufnahme von Glykose über den Darm) oder auf einer erhöhten Insulinfreisetzung aus den β-Zellen der Bauchspeicheldrüse beruht. Fakt ist, die beabsichtigten Wirkungen bleiben hinter den Erwartungen einer klinisch gesicherten Anwendung zurück. Zu gering sind die beobachteten Effekte und zu gross die Schwankungen in der Zusammensetzung der pflanzlichen Rohstoffe. Worauf im nächsten Abschnitt noch einmal näher eingegangen wird.
Lupinensamen sind für die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie gefragte Eiweisslieferanten. Die Früchte der wilde blaue Lupine (Lupinus angustifolius) sind giftig. Für den landwirtschaftlichen Anbau werden giftfreie Neuzüchtungen verwendet.
Geissrautenkraut – Medizin des Mittelalters?
Auf der Suche nach Pflanzen und Pflanzenstoffen mit einer insulinomimetischen – das bedeutet einer dem Hormon Insulin nachahmenden Wirkung, stiess man bereits am Anfang des 20 Jahrhunderts auf das Galegin. Das ist ein Inhaltsstoff des Geissrautenkrautes (Galega officinalis L.). In der Volksmedizin waren Tees auf Basis des Geissrautenkrautes schon sehr lange bekannt und in der Anwendung. Man wusste um die appetitzügelnde Wirkung und verwendete Geissrautentees auch gegen die „Zuckerkrankheit“ jedoch mit unzureichendem Erfolg, sonst hätte es sich als Standardarznei durchgesetzt. Dem Leiden der Zuckerkranken konnte damit kein Einhalt geboten werden. Die Anfänge bei der Erforschung pflanzlicher Inhaltsstoffe zur Senkung des Blutzuckers beschränkten sich auf die Suche nach schnell wirkendenden Mitteln. Über diese Eigenschaften verfügt das Galegin nicht.[6] Das Alkaloid Galegin zählt zu den Guanidin-Derivaten. Das sind Substanzen die dem heute gebräuchlichen Antidiabetikum Metformin ähneln. Bis zu einem brauchbaren standardisierten Medikament war es ein weiter Weg. Die Forscher untersuchten die verfügbaren chemischen Varianten der Guandine. Letztendlich wurde durch erst durch Moleküländerungen das heute verwendete Metformin verfügbar. [7] Der Vorteil für die Patienten bei einer Behandlung mit dem Medikament Metformin liegt in der daraus resultierenden Verringerung des Insulinbedarfs.
Die Wirkung des Metformins ist nicht mit der des Insulin vergleichbar. Bei der Aufnahme von Metformin in den Zellen hemmt es die Mitochondrienfunktion. Das führt zur Senkung des Energieverbrauchs der Zelle. Damit sinkt der Bedarf an Glukose (Einfachzucker), die nur mit Hilfe des Insulins in die Zelle gelangen kann. Im weiteren Verlauf hemmt es die Neugewinnung von Glukose (Blutzucker) in der Leber und aus Fetten.[8] Diskutiert wird zudem eine Verzögerung der Glucoseaufnahme durch den Darm, was sich in etwa mit den bekannten Wirkungen des Inhaltstoffes vom Geissrautenkraut decken würde – dem Galegin.
Bekannt ist die hypoglykämische Wirkung des Geissrautenkrauts (Galega officinalis L.). Sie ist auf den Inhaltsstoff Galegin ein Guadin-Derivat zurückzuführen.
Die Kommision E des BfArM befand bei der Negativ-Bewertung des Geissrautenkrautes, dass die Risiken bei der Anwendung von Drogen des Geissrautenkrauts überwiegen und die Wirkung unsicher sei. Das ist tatsächlich die grösste Herausforderung bei der effektiven Therapie eines gestörten Blutzuckerhaushalts (Diabetes mellitus). Das sogenannten Einstellen eines Blutzuckerspiegels ist Massarbeit. Hierfür benötigen sowohl Behandler als auch Patient jederzeit verlässliche und genormte Wirkstoffe, die sich problemlos skalieren lassen. Das ist jedoch das Problem bei pflanzlichen Arzneimitteln. Es bestehen in der Regel erhebliche Schwankungen in der Zusammensetzung, der Wirkstoff-Konzentration und der -Verfügbarkeit. Abhängig vom Standort, den klimatischen Bedingungen, der Ernte, der Aufbereitung u.v.m. ergeben sich auf natürlichem Wege diese Abweichungen. Was einerseits den Charme der Pflanzenheilkunde ausmacht, wird im Falle des Geissrautenkrautes zum Risiko für den Diabetiker. Demzufolge ist der Gebrauch und die Verwendung von Drogen des Geissenrautenkraut bei Abwägung der Schwere einer Diabetes-Erkrankung auch in den Augen der Kommission nicht vertretbar.
Nichtsdestotrotz kennen wir die Geschichten von Diabetikern, oder wir kennen sie auch selbst, die mit einigen Kniffen und Tricks in der Ernährung ihren Blutzucker gut im Griff haben. Sie haben damit ihre Lebensqualität spürbar erhöht, und das ist ein Grund zur Freude. Sicherlich können dabei Gewohnheiten, Pflanzen, Kräuter und Gemüse eine Rolle spielen. Um Herauszufinden, was für sie funktioniert und was nicht, war es ein weiter Weg mit Hoch und Tiefs. Wer allerdings schon einmal am eigenen Körper eine Über- oder Unterzuckerung erlebt hat, weiss, das ist kein Kinderspiel!
Verunreinigungen das Ärgernis in der Forschung
Verunreinigungen von Pflanzen durch die Umwelt sind nicht selten. So fielen Forscher schon mehrfach bei der Suche nach natürlichen Arzneimitteln oder Pflanzen, die arzneimittelähnliche Inhaltsstoffe haben, auf Anhaftungen oder Verunreinigungen der untersuchten Pflanzen herein. Manche Wissenschaftler sahen sich mit ihren Analysen schon kurz vor dem Ziel und musste am Ende jedoch einsehen, dass sie einem Irrtum aufgesessen waren. So erging es im Jahre 2017 einem dänisch-ägyptisches Wissenschaftlerteam bei der Untersuchung von Pflanzenbestandteile der Seidlitzia rosmarinus, einer mehrjährigen grünen Wüstenart von Salzkraut auf der Sinai-Halbinsel, in der Absicht das Antidiabetikum Metformin zu isolieren. Zu ihrer Enttäuschung entstammten die chemischen Spuren lediglich Kontaminationen aus der Umwelt.[9] Folglich hat sich unter Naturstoffforscher die Erkenntnis durchgesetzt, dass aus Pflanzen isolierte Verbindungen eher Umweltverschmutzungen als durch Biosynthese entstammen können. Bereits drei Jahre zuvor war ein heftiger Streit unter Wissenschaftlern ausgebrochen, als deutsche und kenianische Forscher hofften, aus einem immergrünen blühenden Strauch der Nauclea latifolia das schmerzstillende Tramadol isolieren zu können.[10] Afrikanische Medizinmänner nutzen traditionell die Wurzeln des Strauches unter anderem als schmerzstillendes Mittel. Tragischerweise mussten die Wissenschaftler letztendlich anerkennen, dass die identifizierten Spuren des schmerzstillenden Tramadols mit dem Urin des Weideviehs und der Farmer auf die Pflanzen gelangten.[11] Bodenproben und Untersuchungen des Grundwassers bestätigen letztendlich den Verdacht. Enttäuschung und Entsetzen dürften auch die Untersuchungsergebnisse zu den auf Madiera beheimateten Blausternen (Scilla maderensis) bei den schwedischen Forschern ausgelöst haben. Statt einem natürlichen in der Pflanze enthaltenen Antibiotikum dem Sulfadiazin analysierten sie einen durch Kontamination verursachten Gehalt in der Pflanze.[12] Die Suche geht weiter. Das Potenzial ist scheinbar vorhanden. Wie immer braucht es nicht nur den Tüchtigen, sondern auch das Glück!
Quellen:
[1] Governa, P., Baini , G., Borgonetti, V., Cettolin, G., Giachetti, D., Magnano, A. R., Miraldi, E., Biagi , M.: Molecules. 2018 Jan 4; 23(1). pii: E105. doi: 10.3390/molecules23010105.
[2] Śliżewska, K., Chlebicz-Wójcik, A.: Nutrients 2020, 12(5), 1272; https://doi.org/10.3390/nu12051272 – 30 Apr 2020
[3] Khaoula Hellal , Maulidiani , M., Intan Safinar Ismail , Chin Ping Tan, Faridah Abas: Molecules 2020, 25(5), 1247; https://doi.org/10.3390/molecules25051247 – 10 Mar 2020
[4] Fornasini, M., Castro, J., Villacrés, E., Narváez, L., Villamar, M. P., Baldeón, M. E., PMID: 22732964 DOI: 10.1590/S0212-16112012000200012
[5] http://idwf.de/-jZBAA , 30 Jan 2006
[6] Engelhardt, Dietrich v.: Diabetes in Medizin- und Kulturgeschichte; Springer, New York 1989
[7] Hänsel, R., Sticher, O.: Pharmakognosie, Phytopharmazie; Springer, Heidelberg 2010
[8] Seifert, R.: Basiswissen Pharmakologie; Springer Berlin 2018
[9] Hassan, A. R., El-Kousy, S. M.; El-Toumy, S. A.; Frydenvang, K., Tung, T. T.; Olsen, J., Nielsen, J., Christensen, S. B. J.: Nat. Prod. 2017, 80, 2830−2834.
[10] Romek, K. M., Nun, P., Remaud, G. S., Silvestre, V., Taïwe, G. S., Lecerf-Schmidt, F., Boumendjel, A., De Waard, M.; Robins, R. J.: Proc. Natl. Acad. Sci. U. S. A. 2015, 112, 8296−8301.
[11] Dr. Souvik Kusari, Dr. Simplice Joel N. Tatsimo, Dr. Sebastian Zühlke, Dr. Ferdinand M. Talontsi, Prof. Dr. Simeon Fogue Kouam, Prof. Dr. Michael Spiteller: https://doi.org/10.1002/anie.201406639
[12] Luke P Robertson, Lindon W K Moodie, Darren C Holland, K Charlotte Jandér, Ulf Göransson DOI: 10.1021/acs.jnatprod.0c00163