Zölibat ohne Bauchschmerzen
Was Nonnen und Mönchen im Mittelalter bei Baumschmerzen und Krämpfen helfen sollte.
Zu allen Lebensbereichen innerhalb eines Klosters enthält die Benediktusregel ganz klare Anweisungen. Ein keuscher Lebenswandel gehört dazu wie ein bescheidener Lebensstil. Ausufernde Mahlzeiten und übermässiges Trinken entsprechen der Völlerei. Laut Regel geziemt sich das weder für Mönch noch Nonne. Für Menschen, die nicht den weltlichen Dingen entsagen, sind die Befriedigungen einer monastische Lebensweise schwer nachvollziehbar. Schon immer hat die Neugierde geweckt und die Fantasie angeregt, was sich im Verborgenen geschlossener Gemeinschaften abspielt. Vielleicht rührt auch daher das wachsende Interesse an Klöstern mit ihrer ruhigen Atmosphäre und der Abgeschiedenheit von den weltlichen Aufregungen.
Alle finden es interessant, aber machen will es keiner. So oder ähnlich lassen sich die aktuellen Nachwuchssorgen der Klöster beschreiben. Ganz anders war das im Mittelalter. Damals waren die Klöster förmlich die Motoren für die gesellschaftliche Entwicklung nördlich der Alpen. Der Begriff Mittelalter beschreibt die wohl rätselhafteste Zeitspanne der Neuzeit. Sie gilt auch als die Geburtsstunde für die sogenannte Klostermedizin. Wenige überlieferte Schriften bewahrten das Wissen der Heilkunde zu dieser Zeit und erlauben Einblicke in die Lebensumstände der Menschen. Eines dieser Bücher ist das >Macer Floridus<. Es wird heute als das Standardwerk der Klostermedizin bezeichnet. In den Übersetzungen und Kommentierungen der beiden Würzburger Forscher Johannes G. Mayer und Konrad Goehl finden sich lehrreiche Einblicke, welchen medizinischen Fachgebieten sich die Klostermedizin zu dieser Zeit widmete. Überraschungen sind garantiert!
Macer Floridus
Ein Buch, das wirklich zeigt, welche Pflanzen und Kräuter im Spätmittelalter wichtig waren und Verwendung fanden. Es sind insgesamt 77 Pflanzen, die in Gedichtform vorgestellt und deren potenzielle Anwendung zu Heilzwecken beschrieben werden.
Frei von Bauchschmerzen war das Leben in einem Kloster vor 1.000 Jahren auf keinen Fall. Denkbar ist, dass es sich dabei weniger um Stresssymptome handelte, als Probleme aufgrund schwerverdaulicher Kost oder gar Parasiten. Das sind reine Mutmassungen. An der zölibatären Lebensweise wird es wahrscheinlich nicht gelegen haben. Sie hat sich bis heute erhalten. Die traditionellen klösterlichen Heilmittel beschränken sich bis heute eher auf die Verdauung. Sei es als Likör oder Tee.
Absinthum, Wermutkraut
„Das Kraut, ganz gleich, wie man es nimmt, kräftigt den Magen, … erweicht den Leib und und stillt daher, wenn man es nimmt, auch unmässiges Bauchgrimmen.“
Völlerei oder Askese?
Verdauungsbeschwerden gehörten bei Klosterbewohnern ganz gleich ob Nonne oder Mönch offenbar zu den alltäglichen Übeln, die irdische Qualen verursachen. Sei es aus Völlerei oder Askese. Beides kann gleichermassen Magen und Darm zum Grimmen bringen. Allein die Vielzahl der Erwähnungen lässt erahnen, wie sehr das monastische Leben von Verdauungsproblemen geprägt sein mochte. Mit immerhin 21 Rezepturen gegen Bauchgrimmen hält das Kräuterbuch der Klostermedizin ein umfangreiches Repertoire an Heilmitteln und Kräutern in petto.
Chamomilla, die Kamille
„… die Abkochung des Krauts … beruhigt auch das Grimmen und eine Aufblähung des Magens.“
Menschen unter Kutten
Das >Macer Floridus< steckt voller Merkwürdigkeiten. Dazu zählen die zahlreichen Rezepturen und Anwendungen, die auf die Förderung einer gesunden Sexualität abzielen. Zahlreich sind die Nennungen von Mitteln zum Bezähmen der Liebesgier oder Beschränken des Liebestriebs, zur Anregung der Liebeskraft und zur Verhütung. Es ist nicht das, was die Leser vom Inhalt eines ausgerechnet in Klöstern geschätztem Medizinbuches erwarten. Das steht im krassen Kontrast zur zölibatären Lebensweise in einem Kloster. Ein Schelm, wem dabei frivole Fantasien beschleichen oder dabei Erinnerungen an Schwänke aus dem ‚Altdeutschen Dekamerone‘ geweckt werden.
Plantago, der Wegerich
„ …, mit Essig und Salz wie Gemüse gekocht und gegessen, zähmt er den übergrossen Durchfall; kocht man zusätzlich Linsen mit, hilft diese vortreffliche Speise bei Blutstuhl und Bauchgrimmen.“
Tausendfach handschriftlich transkripiert
Starker Tobak aus heutiger Sicht ist, in welchem Umfang Mittel zum Abtreiben von Föten beschrieben und benannt werden. Dieses Wissen findet sich ausgerechnet in dem Kräuterbuch der Klöster. Es waren Mönche, die diese Texte handschriftlich kopierten und mit den Transkripte das Wissen bewahrten und zur Verbreitung beitrugen. Völlig losgelöst von persönlichen Einstellungen und aktuellen Diskussionen, wirft das noch einmal ein völlig neues Licht auf dieses moralisch, ethisch und theologisch schwierige Thema. Dass der Umgang mit dem Thema Schwangerschaft angesichts der Lebensumstände und der Mütter-, Kindersterblichkeit von damals mit heute nicht vergleichbar ist, dürfte relativ klar sein. Dass es aber andere Sichtweisen zu Abtreibungen gegeben haben könnte, wirft ein völlig anderes Licht auf das Wertesystem dieser Epoche. Insgesamt ist es erstaunlich, dass den gynäkologischen Problemen in der Klostermedizin ein ebenso hoher Stellenwert und Umfang eingeräumt wurde, wie den gastroenterologischen Indikationen.
Elleborus albus, die Weisse Nieswurz
„Zu Beginn der jeweiligen Krankheit gereicht, …, vertreibt es den Schüttelfrost und heilt wiederkehrendes Grimmen.“
Vertrau auf Gott!
Die Rezepturen des >Macer Floridus< sind allesamt nicht zur Anwendung geeignet. Es ist riskant! Eine Reihe von Giftpflanzen und giftiger Pflanzenteile genossen offensichtlich über lange Zeit grosse Wertschätzung. Sie wurden zur Linderung von Leiden verwendet. Aus heutiger Sicht ist es makaber, wenn das Leid verkürzt wird, und am Ende der Tod steht. Aus christlicher Sicht ist dieser Gedanke nicht fern, denn mit dem Tod endet die irdische Zeit des Leidens. Fairerweise muss man vermuten, dass sich die Verfasser der Texte einer lebensverkürzenden Wirkung diverser beschriebener Pflanzen und Kräuter nicht bewusst waren.
die Aloe
„Geniesst man Aloe für sich allein, führt sie den Bauch gelinde ab.“
Quellen:
Mayer, J., G., Goehl, K., Kräuterbuch der Klostermedizin – der ‚Macer Floridus‘; Nikol Verlagsgesellschaft mbh & Co. KG, Hamburg, 2021
v. Bingen, H., Ursprung und Behandlung der Krankheiten ‚Causae et Curae‘; Beuroner Kunstverlag, 2011
Spiewok, W., Altdeutsches Dekamerone; Verlag: Rütten & Loening, 1989
Vor Anwendungen der hier aufgeführten Heilmittel und Rezepturen wird dringend gewarnt! Es handelt sich um Auszüge aus historischen Aufzeichnungen mit nicht belegten Wirkungen. Sie eignen sich nicht zur Behandlung der aufgezeigten Indikationen oder Symptome.